Könnte bunter sein.
Seit Oktober 2022 gibt es in Salzwedel einen Raum für queere* Menschen: die Szene in der Kultur-Nische. Die Szene ist ein Ort für queere Kunst und Kultur, gesellschaftliches und politisches Engagement, Austausch, Vernetzung - und ab und zu ‘ne Fete. Denn Salzwedel und die Altmark sind und waren immer Orte, die Menschen in allen Formen und Farben ihr Zuhause nennen. Und diese Unterschiedlichkeit muss gefeiert, nicht bekämpft werden.
Zeit, Farbe zu bekennen!
Die Szene befindet sich im 1. Obergeschoss der Kultur-Nische in der Radestraße 1 in Salzwedel. Du willst mitmachen oder unsere Aktivitäten unterstützen? Dir fehlt auch ein Raum, in dem du deine Ideen für die queere Community umsetzen kannst?
Komm in die Szene.
Die Szene ist offen für alle queeren Personen, die in und um Salzwedel leben oder zu Besuch sind. An jedem ersten Mittwoch des Monats von 18.00 bis 20.00 Uhr findet der Szenetreff in der Kultur-Nische statt - dort kannst du in gemütlicher Atmosphäre mit anderen queeren Menschen etwas trinken und dich austauschen. (Der Eintritt zu den Szenetreffs ist frei und die Getränke stellt der Verein.) Seit 2024 veranstalten einige Szenegänger:innen in unregelmäßigen Abständen zusätzlich Szene-Kaffeekränzchen, zu denen auch die Vereinsmitglieder der Kultur-Nische (oder diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, Vereinsmitglied zu werden) herzlich eingeladen sind.
Während sich die monatlichen Szenetreffs ausschließlich an Menschen innerhalb der queeren Community richten, sind unsere Kulturveranstaltung offen für ein größeres Publikum - das sind insbesondere die Schlagerszene im Mai (ein Public Viewing des Eurovision Song Contests), der Szeneclub im Sommer (unsere große jährliche Party im lauschigen Innenhof der Kultur-Nische, zeitlich meistens um den CSD Wendland herum) und die Wagen & Winnen-Kunstausstellung eine:s/-r queeren Künstler:s/-in im September. Die Szene beteiligt sich zudem an den verschiedenen Aktionstagen, Demonstrationen, Festen und Märkten in der Hansestadt Salzwedel und darüber hinaus.
Die Szene probiert, über die Satzungszwecke der Kultur-Nische e.V. hinaus, Ansprechpartnerin, Ideengeberin und Vermittlerin zu sein, wenn es darum geht, die Situation queerer Menschen in Salzwedel zu verbessern – etwa bei den Themen Flucht, Integration und medizinische Versorgung – und kooperiert in solchen Fragen eng mit Expert:innen aus ihrem Netzwerk.
Wenn du Fragen hast, kannst du uns gern eine Mail schreiben an [email protected].
Alle bevorstehenden Veranstaltungen der Szene findest du hier.
Wir freuen uns auf dich!
Während sich die monatlichen Szenetreffs ausschließlich an Menschen innerhalb der queeren Community richten, sind unsere Kulturveranstaltung offen für ein größeres Publikum - das sind insbesondere die Schlagerszene im Mai (ein Public Viewing des Eurovision Song Contests), der Szeneclub im Sommer (unsere große jährliche Party im lauschigen Innenhof der Kultur-Nische, zeitlich meistens um den CSD Wendland herum) und die Wagen & Winnen-Kunstausstellung eine:s/-r queeren Künstler:s/-in im September. Die Szene beteiligt sich zudem an den verschiedenen Aktionstagen, Demonstrationen, Festen und Märkten in der Hansestadt Salzwedel und darüber hinaus.
Die Szene probiert, über die Satzungszwecke der Kultur-Nische e.V. hinaus, Ansprechpartnerin, Ideengeberin und Vermittlerin zu sein, wenn es darum geht, die Situation queerer Menschen in Salzwedel zu verbessern – etwa bei den Themen Flucht, Integration und medizinische Versorgung – und kooperiert in solchen Fragen eng mit Expert:innen aus ihrem Netzwerk.
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*queer ist ein englisches Wort, das vom deutschen Wort quer abgeleitet ist und ursprünglich sonderbar / eigenartig / suspekt bedeutete, inzwischen aber als Sammelbegriff und positive Eigenbezeichnung von verschiedenen Personengruppen benutzt wird, deren sexuelle Orientierung oder Genderidentität von der heteronormativen (heterosexuellen / cis-gender) Mehrheit abweicht - also zum Beispiel Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*-Menschen, Inter*- oder nicht-binäre Menschen.
Salzwedel - ein Ort für queere Menschen?
Salzwedel, die Altmark oder Sachsen-Anhalt als queere Orte zu bezeichnen, wäre wohl etwas vermessen. Von älteren Salzwedeler:innen hört man, dass es in den 1990ern wohl mal einen monatlichen schwul-lesbischen Stammtisch im Club Hanseat gab, aber das Renommee des Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street hat dieser offenkundlich nicht erreicht. Apropos, Christopher Street - im Sommer 2022 fand erstmals ein Christopher Street Day (CSD) in Salzwedel statt. (Neu war allerdings nur das Label CSD, nicht aber queerer Aktivismus an sich: Bereits in den zwei Jahren zuvor hat die Queere Provinz Demonstrationen für die Rechte der queeren Community organisiert. An den Demonstrationen am Tag der Deutschen Einheit 2020 und 2021 nahmen jeweils rund 70 Personen teil.)
Steter Blick zum Stonewall Inn
Überwiegend von einem Magdeburger Team geplant, bezogen sich die Organisator:innen des CSD Salzwedel in ihrem Motto (53 Jahre Stonewall - wir kämpfen weiter) auf die Aufstände in der US-amerikanischen Metropole New York 1969 als einer impliziten Stunde Null des queeren Aktivismus. Diese ständige Bezugnahme hat in Deutschland Tradition: Während die heute geläufige Symbolik und das Vokabular der queeren Community (Flaggen, Akronyme, Pronomen) fast ausschließlich US-amerikanischen Ursprungs sind und ihre hiesigen Äquivalente (Rosa Winkel, LSBTIQ) weitgehend verdrängt haben, hat sich die scheinanglizistische Bezeichnung "Christopher-Street-Day" bzw, "CSD" für sämtliche Protestformen der LGBTQ*-Community ausschließlich in Deutschland durchgesetzt – andere Sprachen und Kulturen bringen dieselben Demonstrationen und Straßenumzüge stattdessen mit "Stolz" (etwa engl.: gay pride oder span.: orgullo gay), dem "Regenbogen" (etwa die Regenbogenparade in Wien) oder der Farbe Pink/Rosa (Pink Parade in Nizza, Roze Week in Nimwegen) in Verbindung.
Frühe queere Fortschritte sind ostdeutsch
Dass ausgerechnet deutsche CSD-Organisator:innen ihren Blick partout nicht vom Stonewall Inn abwenden können, ist aber auch auf inhaltlicher Ebene kurios. Denn fast ein halbes Jahrhundert bevor in der New Yorker Christopher Street der erste Stein geworfen wurde, feierte queeres Leben eine erste Blütezeit in Ostdeutschland und insbesondere in dessen Metropole Berlin. Unzählige Meilensteine queerer Kultur, vergleichsweise umfangreiche Rechte und eine fortschrittliche medizinische Versorgung, sowie unzählige Orte queeren Lebens belegen die Bedeutung Ostdeutschlands, Berlins und – in geringerem Maße – Sachsen-Anhalts für die Emanzipation homosexueller und trans*-Menschen in den vergangenen 100 Jahren. Dass nicht mal die ländlich geprägte Altmark als terra incognita des queeren Aktivismus durchgehen kann, ist dem DDR-Schwulenrechtler Eduard Stapel zu verdanken, der im nahegelegenen Bismark das Licht der Welt erblickte. Der Journalist und Theologe hat nicht nur seit Beginn seit 1982 überall in der DDR sogenannte Arbeitskreise Homosexualität in Räumen der Evangelischen Kirche eingerichtet, sondern in den letzten Tagen der DDR in Leipzig den Schwulenverband Deutschland mitbegründet, der schließlich zum gesamtdeutschen Lesben- und Schwulenverband Deutschland wird und noch heute besteht. Die wohl die einzige Wiedervereinigung, die von Ost nach West stattgefunden hat. Von 2011 bis zu seinem Tod im Jahr 2017 ist Eduard Stapel Ortsbürgermeister der Stadt Bismark – und das als Mitglied der Grünen.
Die Jahre der Weimarer Republik sind eine erste kurze Blütezeit queerer Kultur
Die lesbische Beziehung von Catharina Margaretha Linck, die mit ihrer Hinrichtung 1721 in Halberstadt endet, darf sicher als eine der frühesten, überlieferten queeren Lebensgeschichten Sachsen-Anhalts gelten. Ob sich die Person, die sich zeitlebens Anastasius Lagrantinus Rosenstengel nennt und von ihrer Umwelt männlich gelesen wird, möglicherweise gar nicht als lesbische Frau, sondern als Trans*-Mann identifiziert, lässt sich im historischen Kontext nicht zweifelsfrei beantworten. Die wissenschaftliche Forschung zu Trans*-Identitäten hat ihren Ursprung allerdings ebenfalls in Ostdeutschland: In den 1920er Jahren nimmt der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der um die Jahrhundertwende in Magdeburg praktiziert und gelebt hatte, in seinem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin die ersten geschlechtsangeleichenden Operationen an Trans*-Menschen vor. Darunter sind die Malerin Lili Elbe, deren Autobiografie Ein Mensch wechselt das Geschlecht wohl der erste autobiografische Bericht einer tin*-Person ist, und die spätestens 2016 durch den Film The Danish Girl posthum Berühmtheit erlangt, die Schauspielerin Charlotte Charlaque, die Malerin Toni Ebel und Dora (oder Dorchen) Richter, die nach mehreren Operationen zwischen 1922 und 1931 als weltweit erste Trans*-Frau in die Geschichtsbücher eingeht, die sich einer kompletten Geschlechtsangleichung samt Vaginoplastik unterzogen hat.
Sowieso ist das Berlin der Weimarer Republik in vielfacher Hinsicht weiter als das New York der späten 1960er Jahre: Ein ärztliches Attest über ihre Trans*-Identität ermöglicht es Trans*-Personen, sich in der Öffentlichkeit ihrem sozialen Geschlecht entsprechend zu kleiden, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Mitte der 1920er Jahre gibt es in Berlin knapp 100 Bars, Kneipen und Dielen, die sich an ein homosexuelles Publikum richten, darunter die Schwulenbar Eldorado und das Kleist-Kasino (das es von 1921 bis 2002 gibt, unterbrochen nur von der Zeit des Nationalsozialismus), die Tanzdiele Dorian Gray und die Lesbenbars Café Olala, Damenklub Violetta und Toppkeller, in denen sich so illustre queere Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich, Christopher Isherwood, Claire Waldoff, Anita Berber und Gertrude Sandmann bewegen. Trotz ihres beispiellosen queeren Kulturangebots ist es – heute wie damals – falsch, dass Berlin eine Insel der Glückseligen im ansonsten homo- und transphoben, ostdeutschen Hinterland sei. Ein 1920 im Berliner Verlag Carl Schultz erschienener "Internationaler Reiseführer" für Homosexuelle listet für Leipzig die Lokale Rothenburger Krug, die Burgkellerklause, die Mägdebrunnen Diele, das Restaurant Stiehler, die Elisenburg, das Kleine Landgericht und die Rheinische Winzerstube als Treffpunkte der queeren Szene auf. Schwule und Lesben frequentieren in Dresden das Gasthaus Zum Palmbaum und die Arnim-Diele, in Magdeburg das Café Papenburg, in Halle (Saale) das Kaiser-Café und in Weimar das Café Westend. Der Reiseführer verrät weiterhin, dass es in Anklam, Chemnitz, Dessau, Dresden, Eisenach, Frankfurt (Oder), Görlitz, Greifswald, Halle, Leipzig, Magdeburg, Thale und Weimar zudem sogenannte Freundschaftsbünde gibt, also als Verein organisierte, semi-öffentliche schwule und lesbische Freundeskreise, die ihrerseits sogar einem der zwei konkurrierenden Dachverbände, Deutscher Freundschaftsverband (DFV) oder Bund für Menschenrecht (BfM), angehörten. Schon mehr als hundert Jahre vor der Szene in Salzwedel, gibt es selbst in den abgelegensten Teilen Ostdeutschland ein reges, von Vereinen organisiertes, queeres kulturelles Leben.
Adolf Brandt und Friedrich Radszuweit geben zwischen 1923 und 1933 verschiedene Zeitschriften für homosexuelle und Trans*-Männer und -Frauen heraus. Die Leserinnen und Leser haben damals in den Kiosken der größeren ostdeutschen Städten Berlin, Leipzig, Dresden und Chemnitz die Wahl zwischen rund 20 verschiedenen Publikationen, wie der ersten, regelmäßig erscheinenden Homosexuellenzeitschrift Der Eigene (1896-1906, 1919-32), der Freundschaft (1919-31), der Blätter für Menschenrecht (1923-33), Die Insel (1923-25), die später unter dem Namen Das Freundschaftsblatt (1925-33) fortgeführt wird, der weltweit ersten Lesbenzeitschrift Die Freundin (1924-33) und der unregelmäßig erscheinenden Das 3. Geschlecht (1930-32), der weltweit ersten Zeitschrift für "Transvestiten", wie man damals nicht nur Crossdresser:innen, nennt, sondern sämtliche Gruppen, die sich nach heutigem Erkenntnisstand als nicht cisgender identifizieren. Da sich für die allermeisten Trans*- und nicht-binären Personen die Frage nach einer medizinischen Transition zu jener Zeit nicht stellte, war das Tragen von zur Geschlechtsidentität passender Kleidung der weitestreichende Aspekt der sozialen Transition.
Die Schlager Das Lila Lied (1921), das sich zur ersten deutschsprachigen gay anthem entwickelt, und Bubi, laß uns Freunde sein (1924) sind Beispiele für populäre Musik mit queerer Thematik.
Schwule Szenen ganz anderer Art sorgen zu Beginn der Weimarer Republik für einen Skandal: Der weltweit erste Film mit homosexueller Thematik feiert im Jahr 1919 in Berlin Premiere: Anders als die Andern. Zwölf Jahre später thematisiert der Film Mädchen in Uniform (1931) erstmals offen lesbische Liebe. Zur selben Zeit gibt es im politischen Berlin auch ernsthafte Bemühungen, den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches zu streichen. Der Strafrechtsausschuss des Reichs empfiehlt am 16. Oktober 1929 sogar die Straffreiheit der „einfachen Homosexualität“ unter Erwachsenen. Aufgrund der bereits fortschreitenden Handlungsunfähigkeit der Weimarer Demokratie wird dieses Gesetz jedoch nicht mehr verabschiedet.
Die Jahre der Toleranz, die von der Metropole Berlin sicherlich auch ein Stück weit ins ostdeutsche Umland ausstrahlt, nehmen mit der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 ein abruptes Ende. Bis zu 10.000 Schwule, Lesben und Trans*-Menschen werden innerhalb von 12 Jahre NS-Herrschaft in Konzentrationslager deportiert. Mehr als die Hälfte von ihnen sterben. Wie Jüd:innen, Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen sind Angehörige der LGBTQ-Community nämlich unmittelbar nach der Machtergreifung im Fokus der Nazis. Es dauert nur etwas mehr als drei Monate, bis die Sturmabteilung der Nazis und ein plündernder Mob das Berliner Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld vollständig zerstört. Sie diskreditieren schwule Männer, transidente Personen, sowie (vorgeblich als "asozial" gebrandmarkte) lesbische Frauen als "wider den undeutschen Geist", isolieren sie gesellschaftlich und bedrohen diejenigen massiv in ihrer Existenz, die sich nicht in das völkische Familienbild der Nazis einfügen. Auch unter den Tätern wollen das nicht alle. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen NSDAP-Parteimitgliedschaft und ihrer Homosexualität geht bleibt für die schwulen Männer in der Führungsriege der SA nur ein gutes Jahr folgenlos. Im Sommer 1934 lässt Hitler seinen langjährigen Parteifreund, den SA-Chef und prominentesten Schwulen in der NSDAP, Ernst Röhm, und die schwulen Männer in seiner Entourage, Karl Ernst, Edmund Heines und Hans Walter Schmidt, umbringen.
Der letzte Überlebende, der den später zum Symbol der weltweiten Schwulenbewegung avancierenden Rosa Winkel tragen musste, kommt aus einem Dorf bei Zeitz. Drei Jahre bevor Rudolf Brazda im Jahr 2011 fast hundertjährig im Elsass stirbt, erlebt er noch die Einweihung des Denkmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin. Dass die Trans*-Pionierin Dora Richter die Nazizeit in Böhmen überlebt und erst im fränkischen Allersberg im hohen Alter von 74 stirbt, hat Clara Hartmann von der Lili Elbe-Bibliothek im Jahr 2024 durch intensive Archivrecherchen aufgedeckt.
Die DDR – das etwas weniger homophobe Deutschland
In der DDR treffen sich Schwule in den wenigen einschlägigen Bars der großen Städte, vor allem in Ost-Berlin. Vor dem Mauerbau sind der Esterhazy-Keller, das Albrechtseck in der Nähe der Friedrichstraße und die geradezu legendäre Schoppenstube in Berlin-Prenzlauer Berg, die erst 2013 endgültig ihre Türen schließt, die einzigen einschlägigen Kneipen im Ostteil der Stadt. Das Mocca unter dem S-Bahn-Bogen am Alex gibt es immer noch unter dem Namen Besenkammer. Die City-Klause und die Geh-Bierbar und etablieren sich in der zweiten Hälfte der DDR-Zeit als bekannte Schwulenbars der Hauptstadt. Auch in anderen Großstädten der DDR gibt es ein bescheidenes Nachtleben für Schwule: Im Tante Anna in Leipzig, dem Tanzcafé Grinzing in Halle und Zum Hattenheiner in Dresden treffen sich Schwule schon seit den 1950er Jahren.
Der §175 StGB wird in der DDR ab 1958 nicht mehr geahndet und verschwindet 1968 völlig aus dem Strafgesetzbuch. Allerdings wird an seiner Stelle der §151 StGB-DDR eingeführt, der homosexuelle Kontakte erwachsener Männer und Frauen mit Jugendlichen des gleichen Geschlechts unter Strafe stellt, und bis 1989 gilt.
Obwohl Homosexualität in beiden deutschen Ländern in großen Teilen der Gesellschaft bis zur Jahrtausendwende tabuisiert bleibt, schreitet die rechtliche Gleichstellung Schwuler in der DDR schneller voran als in der BRD, wo Homosexualität erst 1973 weitgehend straffrei wird. Zusätzlich zu den 53.000 während des Nationalsozialismus verfolgten – davon 10.000-15.000 in Konzentrationslagern internierten – schwulen Männern, werden von 1945 bis 1994 in Westdeutschland weitere 58.000 schwule Männer nach §175 StGB verurteilt. Eine Ausdehnung des bundesdeutschen §175 StGB auf den Rechtsraum der DDR im Zuge der Wiedervereinigung verhindert die schwul-lesbischen Bürgerrechtsbewegung der DDR, sodass dieser in der ersten Hälfte der 1990er Jahre nur in Westdeutschland gilt, bevor er 1994 auch dort gestrichen wird.
Ab 1973 organisieren sich queere Menschen in der sogenannten Homosexuellen Interessensgemeinschaft Berlin (HIB), die bis 1980 existiert und die erste LGBTQ-Interessensvertretung in den Ländern des Warschauer Pakts ist. Die Berliner LGBTQ-Ikone Charlotte von Mahlsdorf stellt der Gruppe ab Mitte der 1970er das wiederaufgebaute Lokal Mulackritze im Gutshaus Mahlsdorf als Treffpunkt und Festsaal zur Verfügung. Später finden Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*-Menschen im Sonntags-Club, den die Thüringerin Ursula Sillge ab Mitte der 1980er in Ost-Berlin etabliert, eine Gemeinschaft, die weitgehend außerhalb der staatlichen Kontrolle agieren kann. Im heutigen Sachsen-Anhalt formiert sich in Kirchenräumen etwa zeitgleich die Fraueninitiative Magdeburg, die heute das Volksbad Buckau c/o Frauenzentrum Courage betreibt.
Ein gebürtiger Magdeburger verfasst 1980 mit der Kleinstadtnovelle ein schmales, aber sehr queeres Buch über ein Coming-Out in der Provinz und landet damit unerwartet einen Hit auf dem westdeutschen Buchmarkt: Ronald M. Schernikau gehört zwar auf einen Schlag zu den interessantesten, queeren Stimmen im deutsch-deutschen Literaturbetrieb. Er stirbt aber mit nur 31 Jahren an seiner HIV-Infektion. Nachdem er als West-Berliner ein Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig absolviert hat, beantragt und nimmt der junge Schriftsteller nur zwei Monate vor dem Fall der Mauer die DDR-Staatsbürgerschaft an und siedelt nach Berlin-Hellersdorf über.
Am 9. November 1989 wird der erste und einzige DEFA-Spielfilm mit homosexueller Thematik, Coming-Out, im Ost-Berliner Kino International uraufgeführt. Die Premierengäste erleben den Fall der Mauer im Kinosaal. Das Erscheinen dieses Films zeigt aber, dass sich die Einstellung gegenüber Homosexualität auch in der DDR verändert hat.
So queer sind die Altmark und das Wendland heute
Inzwischen haben sich in Salzwedel, der Altmark und der Umgebung mehrere queere Initiativen gegründet. Vor allem der liberale Wind aus dem benachbarten Wendland und der dortigen Protestszene gegen das Atommülllager in Gorleben sorgte und sorgt für queeren Aktivismus, wie zum Beispiel dem seit 2013 stattfindenden CSD Wendland-Altmark/Queer Wendland (seit 2019 unter altmärkischer Beteiligung), dem Queer Wendland Kollektiv, dem ehemaligen Schlachthof in Steine, einem monatlichen schwulen Stammtisch in Lüchow, der regelmäßig stattfindenden Party Queer & Friends, sowie dem mit dem kurzlebigen Queer Treff im Kulturverein Platenlaase.
An der Hochschule Magdeburg-Stendal gibt es eine eigene Arbeitsgemeinschaft für queere Themen im Studierendenrat und einen Lehrstuhl, der u.a. zu Gender & Queer Media Studies arbeitet. Die Schmiede e.V. im Osterburger Ortsteil Polkau, deren Vereinsmitglieder sich seit Anfang der 1990er Jahre für unterschiedliche gesellschaftliche Themen stark machen, gibt es eine Zeit lang einen Stammtisch für "Menschen mit anderer sexueller Orientierung" und unregelmäßige Veranstaltungen zu LGBT-Themen.
In Salzwedel setzen sich Mitglieder des Autonomen Zentrums Kim Hubert, der Antifaschistischen Aktion Salzwedel (AAS)/Queere Provinz und des Aktionsbündnis Solidarisches Salzwedel (ASS) seit Jahren für intersektionale / feministische / anti-rassistische / anti-sexistische / queere Belange ein. Im Oktober 2020 findet in Salzwedel eine erste ausdrücklich queere Demonstration statt. Seit Sommer 2023 gibt es einen queeren Treff für Jugendliche in der Stendaler Kleinen Markthalle (vom Jugendnetzwerk Lambda organisiert). Im JFZ Gardelegen gibt es 2023 einen Versuch, solch einen Treffpunkt in der zweitgrößten Stadt des Altmarkkreises aufzubauen. Diese Initiative ist zwar nicht von Dauer, allerdings gründet sich Anfang 2024 das Bündnis für Demokratie in Gardelegen und organisiert politische Aktionen für die Gleichstellung der Gardelegener LGBTQ-Community. Im Kuhdamm Cowlitz im Arendseeer Ortsteil Kaulitz finden hin und wieder Drag Shows und alternative queere Partys statt - also auch die Altmark wird bunter, zumindest hier und da. Und auch in Sachen Toleranz steht Sachsen-Anhalt gut da. Eine Umfrage des Online-Magazins Lust ergibt im Sommer 2022 sogar, dass die Akzeptanz queerer Menschen in der Gesamtbevölkerung in keinem anderen Bundesland größer ist.
Steter Blick zum Stonewall Inn
Überwiegend von einem Magdeburger Team geplant, bezogen sich die Organisator:innen des CSD Salzwedel in ihrem Motto (53 Jahre Stonewall - wir kämpfen weiter) auf die Aufstände in der US-amerikanischen Metropole New York 1969 als einer impliziten Stunde Null des queeren Aktivismus. Diese ständige Bezugnahme hat in Deutschland Tradition: Während die heute geläufige Symbolik und das Vokabular der queeren Community (Flaggen, Akronyme, Pronomen) fast ausschließlich US-amerikanischen Ursprungs sind und ihre hiesigen Äquivalente (Rosa Winkel, LSBTIQ) weitgehend verdrängt haben, hat sich die scheinanglizistische Bezeichnung "Christopher-Street-Day" bzw, "CSD" für sämtliche Protestformen der LGBTQ*-Community ausschließlich in Deutschland durchgesetzt – andere Sprachen und Kulturen bringen dieselben Demonstrationen und Straßenumzüge stattdessen mit "Stolz" (etwa engl.: gay pride oder span.: orgullo gay), dem "Regenbogen" (etwa die Regenbogenparade in Wien) oder der Farbe Pink/Rosa (Pink Parade in Nizza, Roze Week in Nimwegen) in Verbindung.
Frühe queere Fortschritte sind ostdeutsch
Dass ausgerechnet deutsche CSD-Organisator:innen ihren Blick partout nicht vom Stonewall Inn abwenden können, ist aber auch auf inhaltlicher Ebene kurios. Denn fast ein halbes Jahrhundert bevor in der New Yorker Christopher Street der erste Stein geworfen wurde, feierte queeres Leben eine erste Blütezeit in Ostdeutschland und insbesondere in dessen Metropole Berlin. Unzählige Meilensteine queerer Kultur, vergleichsweise umfangreiche Rechte und eine fortschrittliche medizinische Versorgung, sowie unzählige Orte queeren Lebens belegen die Bedeutung Ostdeutschlands, Berlins und – in geringerem Maße – Sachsen-Anhalts für die Emanzipation homosexueller und trans*-Menschen in den vergangenen 100 Jahren. Dass nicht mal die ländlich geprägte Altmark als terra incognita des queeren Aktivismus durchgehen kann, ist dem DDR-Schwulenrechtler Eduard Stapel zu verdanken, der im nahegelegenen Bismark das Licht der Welt erblickte. Der Journalist und Theologe hat nicht nur seit Beginn seit 1982 überall in der DDR sogenannte Arbeitskreise Homosexualität in Räumen der Evangelischen Kirche eingerichtet, sondern in den letzten Tagen der DDR in Leipzig den Schwulenverband Deutschland mitbegründet, der schließlich zum gesamtdeutschen Lesben- und Schwulenverband Deutschland wird und noch heute besteht. Die wohl die einzige Wiedervereinigung, die von Ost nach West stattgefunden hat. Von 2011 bis zu seinem Tod im Jahr 2017 ist Eduard Stapel Ortsbürgermeister der Stadt Bismark – und das als Mitglied der Grünen.
Die Jahre der Weimarer Republik sind eine erste kurze Blütezeit queerer Kultur
Die lesbische Beziehung von Catharina Margaretha Linck, die mit ihrer Hinrichtung 1721 in Halberstadt endet, darf sicher als eine der frühesten, überlieferten queeren Lebensgeschichten Sachsen-Anhalts gelten. Ob sich die Person, die sich zeitlebens Anastasius Lagrantinus Rosenstengel nennt und von ihrer Umwelt männlich gelesen wird, möglicherweise gar nicht als lesbische Frau, sondern als Trans*-Mann identifiziert, lässt sich im historischen Kontext nicht zweifelsfrei beantworten. Die wissenschaftliche Forschung zu Trans*-Identitäten hat ihren Ursprung allerdings ebenfalls in Ostdeutschland: In den 1920er Jahren nimmt der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der um die Jahrhundertwende in Magdeburg praktiziert und gelebt hatte, in seinem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin die ersten geschlechtsangeleichenden Operationen an Trans*-Menschen vor. Darunter sind die Malerin Lili Elbe, deren Autobiografie Ein Mensch wechselt das Geschlecht wohl der erste autobiografische Bericht einer tin*-Person ist, und die spätestens 2016 durch den Film The Danish Girl posthum Berühmtheit erlangt, die Schauspielerin Charlotte Charlaque, die Malerin Toni Ebel und Dora (oder Dorchen) Richter, die nach mehreren Operationen zwischen 1922 und 1931 als weltweit erste Trans*-Frau in die Geschichtsbücher eingeht, die sich einer kompletten Geschlechtsangleichung samt Vaginoplastik unterzogen hat.
Sowieso ist das Berlin der Weimarer Republik in vielfacher Hinsicht weiter als das New York der späten 1960er Jahre: Ein ärztliches Attest über ihre Trans*-Identität ermöglicht es Trans*-Personen, sich in der Öffentlichkeit ihrem sozialen Geschlecht entsprechend zu kleiden, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Mitte der 1920er Jahre gibt es in Berlin knapp 100 Bars, Kneipen und Dielen, die sich an ein homosexuelles Publikum richten, darunter die Schwulenbar Eldorado und das Kleist-Kasino (das es von 1921 bis 2002 gibt, unterbrochen nur von der Zeit des Nationalsozialismus), die Tanzdiele Dorian Gray und die Lesbenbars Café Olala, Damenklub Violetta und Toppkeller, in denen sich so illustre queere Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich, Christopher Isherwood, Claire Waldoff, Anita Berber und Gertrude Sandmann bewegen. Trotz ihres beispiellosen queeren Kulturangebots ist es – heute wie damals – falsch, dass Berlin eine Insel der Glückseligen im ansonsten homo- und transphoben, ostdeutschen Hinterland sei. Ein 1920 im Berliner Verlag Carl Schultz erschienener "Internationaler Reiseführer" für Homosexuelle listet für Leipzig die Lokale Rothenburger Krug, die Burgkellerklause, die Mägdebrunnen Diele, das Restaurant Stiehler, die Elisenburg, das Kleine Landgericht und die Rheinische Winzerstube als Treffpunkte der queeren Szene auf. Schwule und Lesben frequentieren in Dresden das Gasthaus Zum Palmbaum und die Arnim-Diele, in Magdeburg das Café Papenburg, in Halle (Saale) das Kaiser-Café und in Weimar das Café Westend. Der Reiseführer verrät weiterhin, dass es in Anklam, Chemnitz, Dessau, Dresden, Eisenach, Frankfurt (Oder), Görlitz, Greifswald, Halle, Leipzig, Magdeburg, Thale und Weimar zudem sogenannte Freundschaftsbünde gibt, also als Verein organisierte, semi-öffentliche schwule und lesbische Freundeskreise, die ihrerseits sogar einem der zwei konkurrierenden Dachverbände, Deutscher Freundschaftsverband (DFV) oder Bund für Menschenrecht (BfM), angehörten. Schon mehr als hundert Jahre vor der Szene in Salzwedel, gibt es selbst in den abgelegensten Teilen Ostdeutschland ein reges, von Vereinen organisiertes, queeres kulturelles Leben.
Adolf Brandt und Friedrich Radszuweit geben zwischen 1923 und 1933 verschiedene Zeitschriften für homosexuelle und Trans*-Männer und -Frauen heraus. Die Leserinnen und Leser haben damals in den Kiosken der größeren ostdeutschen Städten Berlin, Leipzig, Dresden und Chemnitz die Wahl zwischen rund 20 verschiedenen Publikationen, wie der ersten, regelmäßig erscheinenden Homosexuellenzeitschrift Der Eigene (1896-1906, 1919-32), der Freundschaft (1919-31), der Blätter für Menschenrecht (1923-33), Die Insel (1923-25), die später unter dem Namen Das Freundschaftsblatt (1925-33) fortgeführt wird, der weltweit ersten Lesbenzeitschrift Die Freundin (1924-33) und der unregelmäßig erscheinenden Das 3. Geschlecht (1930-32), der weltweit ersten Zeitschrift für "Transvestiten", wie man damals nicht nur Crossdresser:innen, nennt, sondern sämtliche Gruppen, die sich nach heutigem Erkenntnisstand als nicht cisgender identifizieren. Da sich für die allermeisten Trans*- und nicht-binären Personen die Frage nach einer medizinischen Transition zu jener Zeit nicht stellte, war das Tragen von zur Geschlechtsidentität passender Kleidung der weitestreichende Aspekt der sozialen Transition.
Die Schlager Das Lila Lied (1921), das sich zur ersten deutschsprachigen gay anthem entwickelt, und Bubi, laß uns Freunde sein (1924) sind Beispiele für populäre Musik mit queerer Thematik.
Schwule Szenen ganz anderer Art sorgen zu Beginn der Weimarer Republik für einen Skandal: Der weltweit erste Film mit homosexueller Thematik feiert im Jahr 1919 in Berlin Premiere: Anders als die Andern. Zwölf Jahre später thematisiert der Film Mädchen in Uniform (1931) erstmals offen lesbische Liebe. Zur selben Zeit gibt es im politischen Berlin auch ernsthafte Bemühungen, den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches zu streichen. Der Strafrechtsausschuss des Reichs empfiehlt am 16. Oktober 1929 sogar die Straffreiheit der „einfachen Homosexualität“ unter Erwachsenen. Aufgrund der bereits fortschreitenden Handlungsunfähigkeit der Weimarer Demokratie wird dieses Gesetz jedoch nicht mehr verabschiedet.
Die Jahre der Toleranz, die von der Metropole Berlin sicherlich auch ein Stück weit ins ostdeutsche Umland ausstrahlt, nehmen mit der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 ein abruptes Ende. Bis zu 10.000 Schwule, Lesben und Trans*-Menschen werden innerhalb von 12 Jahre NS-Herrschaft in Konzentrationslager deportiert. Mehr als die Hälfte von ihnen sterben. Wie Jüd:innen, Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen sind Angehörige der LGBTQ-Community nämlich unmittelbar nach der Machtergreifung im Fokus der Nazis. Es dauert nur etwas mehr als drei Monate, bis die Sturmabteilung der Nazis und ein plündernder Mob das Berliner Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld vollständig zerstört. Sie diskreditieren schwule Männer, transidente Personen, sowie (vorgeblich als "asozial" gebrandmarkte) lesbische Frauen als "wider den undeutschen Geist", isolieren sie gesellschaftlich und bedrohen diejenigen massiv in ihrer Existenz, die sich nicht in das völkische Familienbild der Nazis einfügen. Auch unter den Tätern wollen das nicht alle. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen NSDAP-Parteimitgliedschaft und ihrer Homosexualität geht bleibt für die schwulen Männer in der Führungsriege der SA nur ein gutes Jahr folgenlos. Im Sommer 1934 lässt Hitler seinen langjährigen Parteifreund, den SA-Chef und prominentesten Schwulen in der NSDAP, Ernst Röhm, und die schwulen Männer in seiner Entourage, Karl Ernst, Edmund Heines und Hans Walter Schmidt, umbringen.
Der letzte Überlebende, der den später zum Symbol der weltweiten Schwulenbewegung avancierenden Rosa Winkel tragen musste, kommt aus einem Dorf bei Zeitz. Drei Jahre bevor Rudolf Brazda im Jahr 2011 fast hundertjährig im Elsass stirbt, erlebt er noch die Einweihung des Denkmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin. Dass die Trans*-Pionierin Dora Richter die Nazizeit in Böhmen überlebt und erst im fränkischen Allersberg im hohen Alter von 74 stirbt, hat Clara Hartmann von der Lili Elbe-Bibliothek im Jahr 2024 durch intensive Archivrecherchen aufgedeckt.
Die DDR – das etwas weniger homophobe Deutschland
In der DDR treffen sich Schwule in den wenigen einschlägigen Bars der großen Städte, vor allem in Ost-Berlin. Vor dem Mauerbau sind der Esterhazy-Keller, das Albrechtseck in der Nähe der Friedrichstraße und die geradezu legendäre Schoppenstube in Berlin-Prenzlauer Berg, die erst 2013 endgültig ihre Türen schließt, die einzigen einschlägigen Kneipen im Ostteil der Stadt. Das Mocca unter dem S-Bahn-Bogen am Alex gibt es immer noch unter dem Namen Besenkammer. Die City-Klause und die Geh-Bierbar und etablieren sich in der zweiten Hälfte der DDR-Zeit als bekannte Schwulenbars der Hauptstadt. Auch in anderen Großstädten der DDR gibt es ein bescheidenes Nachtleben für Schwule: Im Tante Anna in Leipzig, dem Tanzcafé Grinzing in Halle und Zum Hattenheiner in Dresden treffen sich Schwule schon seit den 1950er Jahren.
Der §175 StGB wird in der DDR ab 1958 nicht mehr geahndet und verschwindet 1968 völlig aus dem Strafgesetzbuch. Allerdings wird an seiner Stelle der §151 StGB-DDR eingeführt, der homosexuelle Kontakte erwachsener Männer und Frauen mit Jugendlichen des gleichen Geschlechts unter Strafe stellt, und bis 1989 gilt.
Obwohl Homosexualität in beiden deutschen Ländern in großen Teilen der Gesellschaft bis zur Jahrtausendwende tabuisiert bleibt, schreitet die rechtliche Gleichstellung Schwuler in der DDR schneller voran als in der BRD, wo Homosexualität erst 1973 weitgehend straffrei wird. Zusätzlich zu den 53.000 während des Nationalsozialismus verfolgten – davon 10.000-15.000 in Konzentrationslagern internierten – schwulen Männern, werden von 1945 bis 1994 in Westdeutschland weitere 58.000 schwule Männer nach §175 StGB verurteilt. Eine Ausdehnung des bundesdeutschen §175 StGB auf den Rechtsraum der DDR im Zuge der Wiedervereinigung verhindert die schwul-lesbischen Bürgerrechtsbewegung der DDR, sodass dieser in der ersten Hälfte der 1990er Jahre nur in Westdeutschland gilt, bevor er 1994 auch dort gestrichen wird.
Ab 1973 organisieren sich queere Menschen in der sogenannten Homosexuellen Interessensgemeinschaft Berlin (HIB), die bis 1980 existiert und die erste LGBTQ-Interessensvertretung in den Ländern des Warschauer Pakts ist. Die Berliner LGBTQ-Ikone Charlotte von Mahlsdorf stellt der Gruppe ab Mitte der 1970er das wiederaufgebaute Lokal Mulackritze im Gutshaus Mahlsdorf als Treffpunkt und Festsaal zur Verfügung. Später finden Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*-Menschen im Sonntags-Club, den die Thüringerin Ursula Sillge ab Mitte der 1980er in Ost-Berlin etabliert, eine Gemeinschaft, die weitgehend außerhalb der staatlichen Kontrolle agieren kann. Im heutigen Sachsen-Anhalt formiert sich in Kirchenräumen etwa zeitgleich die Fraueninitiative Magdeburg, die heute das Volksbad Buckau c/o Frauenzentrum Courage betreibt.
Ein gebürtiger Magdeburger verfasst 1980 mit der Kleinstadtnovelle ein schmales, aber sehr queeres Buch über ein Coming-Out in der Provinz und landet damit unerwartet einen Hit auf dem westdeutschen Buchmarkt: Ronald M. Schernikau gehört zwar auf einen Schlag zu den interessantesten, queeren Stimmen im deutsch-deutschen Literaturbetrieb. Er stirbt aber mit nur 31 Jahren an seiner HIV-Infektion. Nachdem er als West-Berliner ein Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig absolviert hat, beantragt und nimmt der junge Schriftsteller nur zwei Monate vor dem Fall der Mauer die DDR-Staatsbürgerschaft an und siedelt nach Berlin-Hellersdorf über.
Am 9. November 1989 wird der erste und einzige DEFA-Spielfilm mit homosexueller Thematik, Coming-Out, im Ost-Berliner Kino International uraufgeführt. Die Premierengäste erleben den Fall der Mauer im Kinosaal. Das Erscheinen dieses Films zeigt aber, dass sich die Einstellung gegenüber Homosexualität auch in der DDR verändert hat.
So queer sind die Altmark und das Wendland heute
Inzwischen haben sich in Salzwedel, der Altmark und der Umgebung mehrere queere Initiativen gegründet. Vor allem der liberale Wind aus dem benachbarten Wendland und der dortigen Protestszene gegen das Atommülllager in Gorleben sorgte und sorgt für queeren Aktivismus, wie zum Beispiel dem seit 2013 stattfindenden CSD Wendland-Altmark/Queer Wendland (seit 2019 unter altmärkischer Beteiligung), dem Queer Wendland Kollektiv, dem ehemaligen Schlachthof in Steine, einem monatlichen schwulen Stammtisch in Lüchow, der regelmäßig stattfindenden Party Queer & Friends, sowie dem mit dem kurzlebigen Queer Treff im Kulturverein Platenlaase.
An der Hochschule Magdeburg-Stendal gibt es eine eigene Arbeitsgemeinschaft für queere Themen im Studierendenrat und einen Lehrstuhl, der u.a. zu Gender & Queer Media Studies arbeitet. Die Schmiede e.V. im Osterburger Ortsteil Polkau, deren Vereinsmitglieder sich seit Anfang der 1990er Jahre für unterschiedliche gesellschaftliche Themen stark machen, gibt es eine Zeit lang einen Stammtisch für "Menschen mit anderer sexueller Orientierung" und unregelmäßige Veranstaltungen zu LGBT-Themen.
In Salzwedel setzen sich Mitglieder des Autonomen Zentrums Kim Hubert, der Antifaschistischen Aktion Salzwedel (AAS)/Queere Provinz und des Aktionsbündnis Solidarisches Salzwedel (ASS) seit Jahren für intersektionale / feministische / anti-rassistische / anti-sexistische / queere Belange ein. Im Oktober 2020 findet in Salzwedel eine erste ausdrücklich queere Demonstration statt. Seit Sommer 2023 gibt es einen queeren Treff für Jugendliche in der Stendaler Kleinen Markthalle (vom Jugendnetzwerk Lambda organisiert). Im JFZ Gardelegen gibt es 2023 einen Versuch, solch einen Treffpunkt in der zweitgrößten Stadt des Altmarkkreises aufzubauen. Diese Initiative ist zwar nicht von Dauer, allerdings gründet sich Anfang 2024 das Bündnis für Demokratie in Gardelegen und organisiert politische Aktionen für die Gleichstellung der Gardelegener LGBTQ-Community. Im Kuhdamm Cowlitz im Arendseeer Ortsteil Kaulitz finden hin und wieder Drag Shows und alternative queere Partys statt - also auch die Altmark wird bunter, zumindest hier und da. Und auch in Sachen Toleranz steht Sachsen-Anhalt gut da. Eine Umfrage des Online-Magazins Lust ergibt im Sommer 2022 sogar, dass die Akzeptanz queerer Menschen in der Gesamtbevölkerung in keinem anderen Bundesland größer ist.
Das HausBereits seit 2009 finden in dem Laute'schen Haus (ein Bürgerhaus aus dem 18. Jahrhundert) und dem gesamten Häuserkarree an Rade-, Neutor- und Salzstraße verschiedene kulturelle Initiativen und Projekte einen Platz: Es gibt den von der Straße aus sichtbaren Eckladen, eine Brauerei, eine Töpferei, die Tauschbibliothek, die historische Küche, mehrere Künstlerateliers, den Magischen Raum für verschiedene Heilanwendungen, eine Gemüseabholstation der Solawi Volzendorf, eine Herberge und einen schönen Innenhof. Einen bisher ungenutzten Raum im ersten Obergeschoss, bauen die Vereinsmitglieder seit 2023 so um, dass dort voraussichtlich im Herbst 2025 die queere Szene einziehen kann.
Der VereinKnapp vierzig Salzwedelerinnen und Salzwedeler aller Altersgruppen ü30 kümmern sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten in dem Verein Kultur-Nische e.V. um die Sanierung und Instandhaltung des Gebäudeensembles. Laut Vereinssatzung setzt sich der Verein vorrangig für "die Förderung von Kunst, Kultur, Bildung und Stadtentwicklung in der Hansestadt Salzwedel" ein. Diese Ziel werden vor allem durch "die Bereitstellung von Arbeitsräumen, Gästehaus und Räumlichkeiten für kulturelle Aktivitäten und artverwandte Zwecke" erreicht. Der Verein Kultur-Nische e.V. versteht sich darüber hinaus als "Plattform und Begegnungsort für Diskurse zu Stadtentwicklung im ländlichem Raum, Kunst und Kultur, Politik und Gesellschaft". Die Kultur-Nische hat sich in den 16 Jahren seit Vereinsgründung von einem klassischen Denkmalpflege- zu einem Familienverein und schließlich zu einem soziokulturellen Zentrum mit ganz unterschiedlichen Nutzer:innen und einem facettenreichen Veranstaltungsprogramm entwickelt.
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Wer sind wir?
Robert Drews♥ hat hübsches rotes Haar
♠ seine Superkraft: Partygesprächsthemen ♦ hat Berlin verlassen, um nach Salzwedel zurückzukehren ♣ mag Zahlen |
Yulian Ide♥ hat endlich die passende Blondierung gefunden
♠ seine Superkraft: Windows Paintbrush ♦ hat Amsterdam verlassen, um nach Salzwedel zu ziehen ♣ mag Worte |
Du?♥ bist queer oder willst dich für queere Belange stark machen
♠ deine Superkraft: große Lust, einen Raum für queere Menschen mitzugestalten ♦ wohnst in oder in der Nähe von Salzwedel ♣ magst Menschen |
"Ich breche nicht in Freudentränen aus, dafür hat es zu lange gedauert. Die 'Ehe für alle' ist, wie wenn man ein ganzes Leben lang einen Fünfer im Lotto haben wollte und fünf Minuten vor dem Friedhof kriegt man ihn endlich."
Eduard Stapel (* 30. Mai 1953 in Bismark (Altmark); † 3. September 2017 ebenda), Gründer der kirchlichen Schwulenbewegung in der DDR und Mitbegründer des LSVD, auf die Frage, ob er sich über die Einführung der sogenannten Ehe für alle freue. Am 1. Oktober 2017 trat das 'Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts' schließlich in Kraft.